Studienanlage und Methodik
Mit dem Ziel, ein breites Erkenntnisinteresse zu Meinungsbildungs-Effekten, Kräfteverhältnissen und Besitzstrukturen im Schweizer Medienmarkt zu bedienen, ist der Medienmonitor Schweiz als longitudinale Multi-Methoden-Studie angelegt.
Die Projektanlage umfasst drei Erhebungsmodule, welche die jährliche Datengrundlage liefern. Die Ermittlung medialer Meinungsbildungs-Potenziale erfolgt in einem eigenständigen Modell für Meinungsmacht, durch Verknüpfung und Gewichtung der empirischen Befunde. Die Studien der Jahre 2017 bis 2022 wurden mit weitgehend analoger Untersuchungsanlage und Erhebungsmethodik durchgeführt:
Übersicht Erhebungsmodule
Modul 1:
Bevölkerungsrepräsentative CAWI-Befragung zur Bedeutung von 176 Schweizer Medienmarken für die individuelle Meinungsbildung (empirische Primärerhebung, N=4`700).
Hauptergebnis: Qualitative Markenleistung
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Modul 2:
Sekundäranalyse anerkannter Reichweitenstudien zu den Kontaktleistungen von Schweizer Medienmarken (Radio/TV: Mediapulse, Print: WEMF, Online und Social Media: Eigene Hochrechnung)
Hauptergebnis: Quantitative Marktmacht
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Modul 3:
Sekundäranalyse finanzieller Kennzahlen aus Geschäftsberichten und Branchenstudien zum wirtschaftlichen Gewicht von Medienunternehmen im Schweizer Markt
Hauptergebnis: Wirtschaftsmacht
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Laufende Marktbeobachtung und Dokumentation der unternehmerischen Verflechtungen und Besitzverhältnisse in der Schweizer Medienlandschaft
Hauptergebnis: Beteiligungsdatenbank
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Modell für Meinungsmacht
Das Meinungsmacht-Modell quantifiziert das Meinungsbildungs-Potenzial von Medienmarken, mit der indexierten Kennzahl für Meinungsmacht als zentrale Messgrösse im Medienmonitor Schweiz. Meinungsmacht entsteht als Produkt einer qualitativen und einer quantitativen Komponente.
Die erste Komponente aggregiert die qualitative Markenleistung, basierend auf einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung (Erhebungsmodul 1). Sie beinhaltet die Beurteilung der Medienmarke durch seine Nutzer, insbesondere in Bezug auf folgende Aspekte:
- Glaubwürdigkeit
- Fachliche und kommunikative Kompetenz
- Relevanz (der vermittelten Informationsinhalte)
- Markensympathie
- Zentralität bzw. Bedeutung der Marke für individuelle Informationssuche (informierende Nutzung)
Dabei werden die in der Meinungsführer- und Markenforschung als relevant identifizierten Leistungsattribute funktionaler (Glaubwürdigkeit, Relevanz, Kompetenz) und affektiver Art (Sympathie) standardisiert und in den Teilindikator Markenimpact gemittelt. Als weiteres individuelles Merkmal wird die Zentralität der Marke berücksichtigt, welche die Stärke der Integration einer Medienmarke in den Prozess der individuellen Information fasst. Aus dem mehrdimensionalen Markenimpact (wie die Marken von ihren Nutzerinnen und Nutzer als Informationsmedien bewertet werden) und der Zentralität (welche Rolle sie als individuelle Informationsquellen spielen) wird schliesslich die standardisierte Index-Kennzahl für Markenleistung gemittelt, als qualitative Komponente von Meinungsmacht.
Marktmacht steht für den Erfolg einer Medienmarke im Publikumsmarkt (Reichweite). Für die quantitative Meinungsmacht-Komponente wird die Kontaktleistung bzw. -häufigkeit von Medienmarken erhoben, auf Tagesbasis standardisiert und als Marktmacht-Kennzahl indexiert (vgl. rechte Spalte: "Lesehilfe"). Empirische Basis sind die Gattungsstudien der Schweizer Reichweiten-Währungen für TV, Radio, Print und Online sowie die eigene Repräsentativbefragung für eine Hochrechnung von Social Media (Erhebungsmodul 2).
Für die Berechnung des Hauptindikators für Meinungsmacht wird schliesslich die quantitative Marktmacht mit der qualitativen Markenleistung gewichtet und normalisiert.
Modul 1: Bevölkerungsbefragung 2022
Methode:
CAWI-Befragung (Single Source):
Online-Zielgruppe mittels Online-Befragung (CAWI) im Internet-Panel von intervista (100%, kein Zukauf)
Grundgesamtheit:
Schweizer Wohnbevölkerung im Alter von 15 bis 79 Jahren, sprachassimiliert in drei Sprachenregionen (DE, FR, IT)
Stichprobe:
N=4'700 (netto)
Ausschöpfungsquote:
27% der Brutto-Stichprobe (CAWI)
Quotierung:
14 lokal-regionale Medienräume, Alter (4-stufig) und Geschlecht interlocked (112 Quotenzellen)
Gewichtung:
Gesamtsample interlocked nach Sprachregion, Alter, Geschlecht und Bildung; in der Randsumme nach Medienraum, Erwerbstätigkeit und Internetnutzung
Geringe Gewichtungsfaktoren trotz anspruchsvoller Schichtung: Minimum 0.61 und Maximum 1.30 (Mittelwerte 112 Quotenzellen)
Feldzeit:
30. April bis 9. Juni 2022
Datenbearbeitung:
Analyse, Aufbereitung und Kennzahlen-Bildung:
- Bereinigung Befragungsdaten auf Personenbasis (im Gesamtfile mit ca. 4'800 Fällen x 3'100 Variablen): Datenkontrolle (auffälliges Antwortverhalten, Erfüllung Studienvorgaben bzgl. Medien-Einspielliste, Labeling, Quoten, Gewichtungsfaktoren usw.), statistische Tests (Signifikaz, Varianz), Tests auf Ergebnisplausibilität (Fallzahlen pro Marke und Raum, Validität von Befunden zu Medienmarken nach Raum/Geschlecht/Alter, Nachvollziehbarkeit von Variablen-Zusammenhängen usw.), laufendes Data Cleaning
- Variablen zur Marken-Beurteilung: Standardisierung Antwortkategorien in Indexskala (0-100)
- Aggregation und Standardisierung von je 7 Modell-Indikatoren zur Markenleistung - 4 Leistungsattribute, Markenimpact, Zentralität und Hauptindikator für Markenleistung - für 176 Medienmarken, 5 Mediengattungen und 10 Medienkonzerne (insgesamt und je Gattung), geschichtet nach 126 Zellen anhand Strukturvorgabe (siehe unten)
Datenstruktur:
Modulübergreifende Strukturvorgabe mit 126 geografisch-soziodemografischen Zellen:
- 18 Räume: Ganze Schweiz, 3 Sprachregionen und 14 lokal-regionale Medienräume
- Räume nach Geschlecht, Alter (4-stufig) und insgesamt
Modul 2: Sekundäranalyse Reichweitenstudien
Methode:
Sekundäranalyse der anerkannten Schweizer Gattungsstudien für Reichweiten-Währungen (Desk Research)
Gattungsstudien:
Berücksichtigt werden die aktuellsten Ausgaben der Währungsstudien (per Stichtag: 31. Mai). Die halbjährlichen Publikationen umfassen jeweils die Datenerhebungen der zurückliegenden Jahresperiode:
- TV: Mediapulse Fernsehpanel 2022-1 und 2022-2
- Radio: Mediapulse Radiopanel 2022-1 und 2022-2
- Print: MACH Basic 2023-1 (WEMF)
- Online: Eigene Hochrechnungen anhand Repräsentativbefragung
- Social Media: Eigene Hochrechnungen anhand Repräsentativbefragung (Modul 1)
Kennzahlen:
Kontaktleistung von Medienmarken pro Tag (TV, Radio, Online und Social Media) bzw. pro Ausgabe (Print) = Anzahl Netto-Kontakte als Mittelwerte eines Jahres:
- TV und Radio: nRW/T (Netto-Tagesreichweite in Tausend)
- Print: cRR (Calculated recent Readership, früher: Leser pro Ausgabe/LpA)
- Online: uUpD/T (Unique User per Day in Tausend)
- Social Media: Netto-Tagesreichweite (hochgerechnet)
Datenstruktur:
Total 126 Zellen (analog Modul 1): 18 Räume (Schweiz, 3 Sprachregionen, 14 lokal-regionale Medienräume), pro Raum insgesamt sowie nach Geschlecht und Alter (4-stufig)
Datenbearbeitung:
Analyse, Aufbereitung und Kennzahlen-Bildung:
- Datenlieferung durch Studienanbieter nach Strukturvorgabe (siehe oben): gattungsspezifische Kontaktleistungen für jeweils untersuchte Medienmarken
- Data Cleaning, Ergänzung fehlender Messpunkte (z.B. Extrapolation der Kontaktleistung von Einzelmarken aus Titelkombinationen - Basis: Verbreitungsdaten VSW/ASSP) und Standardisierung auf Tagesbasis (z.B. für Wochenpublikationen)
- Datensynthese: Aggregation Gattungsdaten in Gesamtfile mit Kontaktleistungen von 176 Medienmarken (für Marke insgesamt und nach Verbreitungskanälen), 4 Mediengattungen und 10 Medienkonzernen (insgesamt und je Gattung), geschichtet nach 126 Zellen anhand Strukturvorgabe
- Aggregation und Indexierung der Marktmacht-Kennzahlen für Medienmarken, Mediengattungen und Medienkonzerne, geschichtet nach 126 Zellen anhand Strukturvorgabe
Modul 3: Ökonomische Marktstudien
A) Wirtschaftliches Gewicht von Medienkonzernen
Methode:
Sekundäranalyse finanzieller Kennzahlen aus Geschäftsberichten und Branchenstudien zum wirtschaftlichen Gewicht von Medienunternehmen im Schweizer Markt (Desk Research)
Datenquellen:
Der Schweizer Medienmarkt wird als Ganzes von keiner offiziellen Statistik erfasst. Eine Annäherung an die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse geschieht im Medienmonitor Schweiz auf folgenden Grundlagen:
- Schweizer Medienkonzerne:
Finanzberichterstattung 2022 (falls verfügbar) - Stiftung Werbestatistik Schweiz:
Netto-Werbeumsätze 2022 (Werbeaufwand Schweiz 2022) - Bundesamt für Kommunikation (BAKOM):
Verwendung der Empfangsgebühren 2021 - Verband Schweizer Medien:
Studie Medienbudget Schweiz 2015 (wurde seither eingestellt)
Universum:
Schweizer Gesamtmarkt für publizistische Massenmedien (siehe unten)
Stichprobe:
6 grosse Schweizer Medienkonzerne mit ausreichender Finanzberichterstattung für das Jahr 2022:
- AZ Medien
- CH Media 1)
- NZZ Mediengruppe
- Ringier
- SRG SSR
- TX Group
Im Medienmonitor Schweiz werden zusätzlich die Konzerne Meta Platforms Inc. (ehemals Facebook Inc.), Gruppo Corriere del Ticino, ESH Médias und Somedia untersucht. Alle vier geben für 2021 keine Geschäftszahlen bekannt, weshalb ihre Wirtschaftsmacht nicht ausgewiesen wird. Dasselbe gilt für alle übrigen Unternehmen, die als kleinere Anbieter im Schweizer Medienmarkt aktiv sind.
1) CH Media publiziert keinen eigenen Geschäftsbericht, kommunizierte 2021 aber Kennzahlen zu Umsatz, Gewinn und Anzahl Mitarbeiter. In der Finanzberichterstattung 2021 der NZZ-Mediengruppe und von AZ Medien wird CH Media unterschiedlich transparent ausgewiesen bzw. abgegrenzt. Deshalb ist insbesondere schwierig, den um CH Media bereinigten Umsatz von AZ Medien auszuweisen. Auf Nachfrage wurden Publicom keine genaueren Zahlen bekanntgegeben. Deshalb hat Publicom die Inlandumsätze von CH Media, die NZZ-Mediengruppe und AZ Medien aus dem verfügbaren Zahlenmaterial extrapoliert, ohne Gewähr auf Genauigkeit.
Kennzahlen:
Wirtschaftsmacht von Medienkonzernen (indexierter Hauptindikator)
Wirtschaftsmacht weist die bereinigten Inlandumsätze der Konzerne (falls verfügbar) als Anteile am Schweizer Gesamtmarkt aus
Berechnung Gesamtmarkt:
Vorbemerkung:
Der Medienmonitor Schweiz ermittelt für den Schweizer Gesamtmarkt für publizistische Massenmedien einen "harten" Frankenbetrag. Dieses Marktvolumen ist als eine mögliche Annäherung zu verstehen - und keinesfalls als offizielle Kennzahl. Die Berechnung des Gesamtmarkts folgt jedes Jahr der gleichen Systematik und dient so dem Medienmonitor Schweiz als standardisierte Referenzgrösse. Dadurch wird die Wirtschaftsmacht der Konzerne fassbar und vergleichbar, und die Entwicklungen der Kräfteverhältnisse im Markt können künftig jährlich dokumentiert werden.
Für das Jahr 2022 ermittelt der Medienmonitor Schweiz ein Gesamtvolumen von rund 6`500 Mio. CHF im Schweizer Markt für publizistische Massenmedien.
Der Betrag verteilt sich auf folgende Ertragsquellen:
- Netto-Werbeumsätze von TV, Radio, Print und Online:
ca. 4'056 Mio. CHF (Quelle: Stiftung Werbestatistik) - Empfangsgebühren TV und Radio:
ca. 1'300 Mio. CHF (Quelle: BAKOM) - Abonnemente und Einzelverkäufe Print:
ca. 1'145 Mio. CHF (Hochrechnung Publicom auf Basis Medienbudget Schweiz)
Der ausgewiesene Gesamtmarkt basiert damit auf einer relativ engen Definition. Nicht berücksichtigt werden insbesondere Aufwendungen für den Zugang zu Medienangeboten (z.B. Ausgaben für Internet-, Mobile- oder Pay TV-Abonnemente) und für die Anschaffung von Medienträgern (TV-/Radiogeräte, Computer/Laptop, Smartphone, Tablets usw.) - aufgrund der mangelhaften Verfügbarkeit verlässlicher Daten und daraus folgenden Abgrenzungsproblemen.
B) Beteiligungen und Besitzverhältnisse
Methode:
Primär- und Sekundärerhebungen: Marktbeobachtung und Dokumentation der Schweizer Medienlandschaft aus Anbietersicht (Desk Research, Beobachtung, semi-strukturierte schriftliche Umfrage)
Ziel:
Aufbau und Unterhalt einer aktuellen Datenbank zwecks anschaulicher Präsentation wesentlicher Besitzverhältnisse und Beteiligungsstrukturen der Schweizer Medienlandschaft auf Studien-Website
Stichprobe:
Umfassende Dokumentation für 10 führende Medienkonzerne im Schweizer Markt; enthält Portrait, Kennzahlen, Tochtergesellschaften, Beteiligungsanteile, Medienmarken und wichtige Ereignisse aus der Untersuchungsperiode:
- AZ Medien
- CH Media
- Gruppo Corriere del Ticino
- ESH Médias
- Meta Platforms Inc. (ehemals Facebook Inc.)
- NZZ Mediengruppe
- Ringier
- Somedia
- SRG SSR
- TX Group
Diese Konzerne besitzen zusammen knapp 102 von 176 untersuchten Medienmarken
Kurzinformation zu Besitzverhältnissen an rund 74 meinungsbildenden Medienmarken, die nicht im Besitz genannter Konzerne sind
Vorgehen:
Datenbankaufbau (einmalig in 2017):
- Konzeption Datenbank und Visualisierung (Inhalt, Umfang, Struktur, Funktionalität, Präsentation usw.), Erhebungsinstrumente sowie Beschaffungs- und Publikationsprozesse
- Requirements Engineering, Spezifikation Datenmodell
- Sorgfältige Analyse des vorliegenden Datenbestands (von Medienpublizist Ueli Custer), Ergänzung und Aktualisierung, anschliessend Überführen in neues Datenmodell
- Programmierung SQL-Datenbank und Frontend
- Intensives Testing und Fintuning
Datenerhebung und -pflege (kontinuierlich):
- Laufende Marktbeobachtung: Medieninformationen, Websites und Geschäftsberichte (Medienkonzerne, wichtige Tochtergesellschaften, Vermarkter, Behörden); Berichterstattung in Fachmedien und Wirtschaftspresse, Handelsregister usw.
- Erstellen von Jahreschroniken mit wichtigen Ereignissen je Konzern: Käufe und Verkäufe, Fusionen/Joint Ventures, Mutationen im Top Management und bei Medienmarken (Markteinführungen und Einstellungen, Änderung von Besitzstrukturen, Konzeptanpassungen, redaktionelle Zusammenarbeit, Vertrieb/Verbreitung usw.), Restrukturierungen (Personal, Organisation, Standorte), Vermarktung, Grossaufträge usw.
- Im Aktualitätsfall: Nach Bekanntwerden massgeblicher Veränderungen wird Datenbank zeitnah angepasst (bei Bedarf nach Rücksprache mit beteiligten Akteuren)
- Jährliche Aufbereitung relevanter und verfügbarer Konzerninformationen (mit Stichtag 1. Januar): Strukturiertes Factsheet pro Medienhaus; enthält Zusammensetzung Aktionariat inkl. Anteile, wichtige Veränderungen des Vorjahres, tabellarische Darstellung aller direkten und indirekten Beteiligungen (Mutterfirma, Tochtergesellschaft/Anteil, relevante weitere Beteiligte/Anteile); danach Weiterleitung der Factsheets an Medienhäuser (meist Medienstelle)
- Kontrolle Factsheets durch Medienhäuser, nach Rückmeldung Abgleich von Korrekturen und Unklarheiten (bei Bedarf), Einholen "Gut zum Druck" für definitive Fassung
- Jahres-Aktualisierung der Beteiligungsdatenbank
Methodischer Exkurs #1
Die Erklärungskraft von Meinungsmacht
Der Medienmonitor Schweiz betrachtet aus der Gesamtmenge aller Nutzungskontexte jene, die mit der individuellen Meinungsbildung verknüpft sind, also einen Ausschnitt der Mediennutzungsrealität. Denn im Alltag ist die Information zur Meinungsbildung ein Ziel unter vielen – und erst noch eines, das wohl meistens unbewusst verfolgt wird.
Am Prozess der Meinungsbildung ist zudem eine Vielzahl von medialen und interpersonalen Quellen beteiligt. Das angewandte Modell für Meinungsmacht kann daher nur ein vereinfachtes Abbild der Realität sein. Bereits die Reduktion auf mediale Quellen konstituiert eine Einschränkung. Der Medienmonitor Schweiz untersucht 176 Medienmarken, die mindestens wöchentlich erscheinen. Damit ist die Kommunikationslandschaft zwar weit realitätsnäher erschlossen, als wenn beispielsweise nur wenige abstrakte Mediengattungen abgefragt würden. Aber es ist nicht auszuschliessen, dass auch andere Medien sowie interpersonale Quellen eine wichtige Rolle für die individuelle Meinungsbildung spielen.
Weil Meinungsbildungsprozesse von grosser Komplexität sind und in hohem Masse von medienexternen Faktoren abhängen, kann eine vollends adäquate Abbildung der Gesamtsituation in einem praktikablen Modell nicht das Ziel dieser Studie sein. Meinungsmacht ist im Medienmonitor eine Hilfskonstruktion, die nicht den Anspruch erhebt, die individuelle Meinungsbildung umfassend und präzise zu messen. Vielmehr geht es de facto um eine Annäherung, um eine Abschätzung des medialen Meinungsbildungs-Potenzials von Medien.
Methodischer Exkurs #2
Die Vereinbarkeit disparater Reichweitendaten
Die Vergleichbarkeit von Reichweitendaten verschiedener Mediengattungen ist das wohl älteste ungelöste Problem der Mediaforschung. Da Währungsforschung - historisch begründet – bis heute überwiegend Gattungsforschung ist und von den entsprechenden Verbänden getragen wird, basieren die Studien auf höchst unterschiedlichen Konventionen und Messstandards. Mit dem gemeinsamen Forschungsziel des Nachweises von Werbewirkung divergieren die Studienanlagen ebenso beträchtlich hinsichtlich der zur Anwendung kommenden Erhebungsmethoden, bei der Bestimmung von Universen, bei der Stichprobenziehung und -grösse, der Rekrutierung oder hinsichtlich ausgewiesener Leistungsgrössen.
Auf der Suche nach einem praktikablen Weg zur möglichst validen Gegenüberstellung von Reichweiten über Gattungsgrenzen hinweg stellt sich deshalb eine Problematik, die schon aus theoretisch-wissenschaftlicher Perspektive kaum aufzulösen ist - und noch viel weniger innerhalb gegebener Marktrealitäten. Es geht hier um die Wirkung des Kontakts (Meinungsbildung), und offensichtlich ist ein Kontakt meist nicht gleichbedeutend mit einem anderen Kontakt. Vielmehr beeinflussen Länge, Intensität und Kontext des Kontakts, zahlreiche individuelle Faktoren und nicht zuletzt auch die Kommunikationsinhalte eine Rolle, ob der Kontakt eine Wirkung im Sinne der Meinungsbildung erzielt.
Der Medienmonitor Schweiz erhebt nicht den Anspruch, eine allgemeingültige Lösung für das Problem des Mediavergleichs herbeizuzaubern. Gäbe es eine solche Zauberformel, wäre sie schon längst erfunden. Dies ist aber auch gar nicht nötig, denn im Gegensatz zu Währungsstudien, von denen erwartet wird, dass sie möglichst präzise Daten zur Reichweite liefern, ist hier Präzision kein vordringliches Ziel. Der Medienmonitor Schweiz soll vielmehr – aufgrund eines plausiblen Modells – relative Potenziale ermitteln.
Als intermediale "Währung" für Marktmacht operiert der Medienmonitor Schweiz mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Reichweitenstudien, nämlich, ob ein Kontakt zwischen Rezipient und Medium stattgefunden hat. Dieser pragmatische Ansatz öffnet einen Weg, der letztlich zu wertvollen und teilweise wohl erstmaligen Erkenntnissen führt. Denn neben dem intramedialen Leistungsausweis ermöglicht der Index für Meinungsmacht nicht nur den Vergleich des Potenzials zwischen Mediengattungen, sondern auch von Medienmarken mit unterschiedlichen (Haupt-) Kanälen (z.B. "YouTube" vs. "Radio SRF 3") - und nicht zuletzt auch zwischen Medienkonzernen (z.B. "SRG" vs. "TX Group"). Gerade letzteres ist von beträchtlichem medienpolitischem Belang und steht deshalb im Zentrum des Erkenntnisinteresses.
Lesehilfe
Marktmacht: Analyseobjekte und Universen
Das Vorgehen für die Berechnung von Marktmacht unterscheidet sich je nach Ergebnisperspektive, abhängig von den untersuchten Objekten "Marke" vs. "Gattung" bzw. "Konzern". Bei Medienmarken dient die Gesamtzahl an Personen bzw. die Bevölkerung im untersuchten Segment als Referenzgrösse für die Bestimmung des Ausmasses von Marktmacht. Der quantitative Markterfolg von Gattungen und Konzernen wird dagegen der Gesamt-Kontaktsumme gegenübergestellt, die von sämtlichen Medienmarken im betreffenden Segment kumuliert wird:
Der Marktmacht-Index auf Markenebene kumuliert die täglichen Gesamt-Kontaktleistungen (= aller Verbreitungskanäle) einer Medienmarke.
Die so ermittelte Kontaktsumme wird als Teil des Netto-Kontaktuniversums (=Bevölkerung) im betreffenden Gebiet und/oder Bevölkerungssegment ausgewiesen.
Beispiel:
Die Marktmacht von Le Temps im Medienraum Genf umfasst demnach den Anteil aller Print- und Online-Kontakte des Titels im betreffenden Raum, gemessen am Kontaktuniversum der Genfer Bevölkerung.
Befunde zur Marktmacht auf Gattungsebene kumulieren die täglichen Kontaktleistungen im jeweiligen Verbreitungskanal für sämtliche Medienmarken, die den Kanal im untersuchten Segment bespielen.
Die so ermittelte Gattungs-Kontaktsumme wird als Teil des Brutto-Kontaktuniversums ausgewiesen (= Summe der Kontaktleistungen aller Verbreitungskanäle der im betreffenden Segment untersuchten Medienmarken).
Beispiel:
Die Marktmacht von Online unter Deutschschweizer Frauen umfasst demnach die Summe aller Online-Kontakte in der betreffenden Teilzielgruppe (z.B. auf watson.ch oder tagesanzeiger.ch), anteilig zum Universum aller Kontakte von Deutschschweizer Frauen aus sämtlichen Gattungen (TV, Radio, Print und Online).
Befunde zur Marktmacht auf Konzernebene kumulieren die täglichen Gesamt-Kontaktleistungen (= aller Verbreitungskanäle) sämtlicher Medienmarken des Unternehmens im betreffenden Segment.
Die so ermittelte Konzern-Kontaktsumme wird als Teil des Brutto-Kontaktuniversums ausgewiesen (= Summe der Kontaktleistungen aller im Segment untersuchten Medienmarken bzw. Konzerne).
Beispiel:
Die Marktmacht der SRG SSR bei 60-79-Jährigen in der französischen Schweiz umfasst demnach die Summe aller Kontakte der betreffenden Teilzielgruppe mit Medienmarken der SRG SSR (z.B. auf RTS Un oder rts.ch), anteilig zum Universum aller Kontakte von 60-79-Jährigen mit den Medienmarken sämtlicher Konzerne der französischen Schweiz.
Zur Berechnung des Meinungsmacht-Index (einer Medienmarke, einer Gattung oder eines Konzerns) wird das Produkt der Index-Kennzahlen für quantitative Marktmacht und qualitative Markenleistung gebildet und in den Indexbereich normalisiert.